Als Trainer für Selbstmanagement mit Getting Things Done ist Selbstdisziplin – und damit der Ego Depletion Effekt – ein wichtiges Thema, denn auch mit der besten Methode bekommt man sich nicht organisiert, wenn man nicht auch etwas Selbstdisziplin dafür aufwendet.
![Gemäß der Ego Depletion Theorie fällt uns die "richtige" Wahl am Tagesende deutlich schwerer als am Tagesanfang!](https://www.tmt-beratung.de/wp-content/uploads/2024/02/Cookie-vs-Apple-1024x585.jpg)
Was ist Ego Depletion?
Ego Depletion ist der von Prof. Roy Baumeister beschriebene Effekt, dass jeder Mensch nur eine endliche Menge an Selbstdisziplin haben soll. Ein ganz konkretes Beispiel ist, dass es uns – der Theorie nach – am Ende eines anstrengenden Tages deutlich schwerer fallen soll, statt unserem Lieblings-Schokoriegel lieber einen Apfel zu essen. Dieser Effekt wurde seit 1998 in den Medien und Business-/Selfhelp-Büchern zitiert und verbreitet, die Studien, die zu diesem Ergebnis kamen, werden aber leider heutigen wissenschaftlichen Standards teilweise nicht mehr gerecht. Prof. Baumeister hat auch ein schönes Buch darüber geschrieben: Willpower (2011), in dem übrigens die von mir favorisierte Selbstmanagement-Methode, Getting Things Done, sehr positiv erwähnt wird. Ich hatte schon vor einer Weile mal gehört, dass die Studienergebnisse wohl widerlegt worden sein sollen – daher hab ich mich einmal tiefer in die Studienlage eingearbeitet.
Die Studienlage im Sommer 2022: Kurzfassung
Der Eindruck, den ich auf Basis der veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel mitnehme, ist, dass es den beschriebenen Effekt definitiv gibt, aber der experimentelle Ansatz war bisher nicht gelungen und auch zu uneinheitlich, um den Effekt sauber zu messen. Die Studienlage zeigt seit ca. 2014 Ausschläge in beide Richtungen, so dass sich die Wissenschaft nicht einig ist, ob es den Effekt gibt und insb. auch, wie groß er ist.
Da aber so gut wie jeder das Phänomen aus seinem eigenen Erleben kennt, ist es für mich definitiv existent, aber bisher eben nicht sauber wissenschaftlich im Experiment belegbar, auch wenn die Studienlage bis 2014 dazu eindeutig schien. Der aktuellste Übersichtsstand, den ich gefunden habe, ist dieser hier: Inzlicht et al: The Past, Present, and Future of Ego Depletion, Social Psychology (2019)
Die ausführliche Fassung der Studienlage zu Ego Depletion
Die Anzweiflungen der Existenz des Ego Depletion Effekts (2014) sind nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick wirkt, sondern auf Modellen basiert, die nachträglich versuchen, Ungenauigkeiten in die alten Studien einzurechnen, insb. bzgl. der nicht veröffentlichten Studien. Dabei geht es primär um den sogenannten Publication Bias, also den Effekt, dass positive Ergebnisse eher veröffentlich werden als negative. Da der Effekt – gefühlt – so viel Sinn macht, wird angenommen, dass viele Studien, die den Effekt nicht nachweisen konnten, einfach nicht veröffentlicht wurden, da die Forscher schlicht annahmen, dass sie Messfehler hatten. Es gibt Modelle, mit denen man solche Publication Bias Effekte nachträglich einrechnen kann, und die hat man als Basis einer neuen Auswertung der alten Studien genommen. Der Nachweis des Effekts in den Studien war wohl leider handwerklich über Jahrzehnte auch nicht besonders gelungen. Ein wesentlicher Bestandteil der Zweifel an den neueren Studienergebnissen, die den Ego Depletion in Frage stellen, ist, dass aktuell nicht sichergestellt ist, ob die Aufgaben, die die Selbstdisziplin der Teilnehmer aufbrauchen sollen, das überhaupt leisten können.
Wenn die neuen Studien nicht in der Lage sind, mit ihren “Anfangsaufgaben” die Selbstdisziplin aufzubrauchen, kann man logischerweise bei der entscheidenden Studienaufgabe, die den Unterschied zeigen soll, auch keinen Effekt zeigen. Es wurden wohl in den neuen Studien die verschiedensten Aufgaben verwendet, von denen zumindest eine der sehr verbreiteten Aufgaben wohl nachgewiesenermaßen nicht für den Nachweis des Ego Depletion Effekts funktioniert.
Ego Depletion: mein Fazit
Der einzige, für mich wirklich starke und valide Kritikpunkt an Ego Depletion ist, dass der Effekt der verbrauchten Selbstkontrolle in Studien sofort aufgehoben werden konnte, sobald die Teilnehmer zusätzlich motiviert wurden. Es gibt aufgrund dieses Motivationseffekts aktuell Versuche, das theoretische Modell anzupassen, die aber wohl auch noch nicht zu einem finalen Ergebnis gekommen sind. Schlußendlich lässt es sich wahrscheinlich am Besten so zusammenfassen wie in einem Artikel von 2018, der den damaligen Stand untersucht hat:
“Whether or not ego depletion is real is subject to great debate. Our analysis suggests that the critical evidence is unlikely to convince proponents that ego depletion does not exist. Likewise, the supporting evidence is unlikely to convince skeptics that ego depletion does exist.“
Friese et al.: Is Ego Depletion Real? An Analysis of Arguments, Personality and Social Psychology Review (2018), Download beim Autor
Bzw. aus einem aktuellen Artikel:
In fact, lay people we speak to sometimes wonder if this seemingly trivial notion is really worthy of the extensive study: “Do we really need scientific research to find out whether people feel less inclined todo effortful stuff when feeling drained? Of course people do!”
Inzlicht et al: The Past, Present, and Future of Ego Depletion, Social Psychology (2019)
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