Ich versuche, regelmäßig alle paar Jahre, mein Arbeitsumfeld zu verändern. Das klappt nicht immer und kann sich dann auch darin äußern, dass ich einfach eine andere Aufgabe innerhalb der gleichen Organisation oder bzgl. eines Hobbies annehme. Je nach Situation kann es natürlich auch vorkommen, das das nicht klappt, aber in der Regel ergibt es sich irgendwie. Der Auslöser war ein Buch, das ich nach dem Abitur gelesen habe: der Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann. Keine einfache Lektüre, aber die zentrale Botschaft sitzt fest bis heute: unsere Zeitwahrnehmung hängt stark davon ab, wie lange wir uns schon in der gleichen Umgebung befinden. Im Roman ist es Hans Castorp, der zu Beginn eine Dehnung der Zeit wahrnimmt, die sich, je länger er im Sanatorium auf dem Zauberberg ist, die langsam in eine Stauchung übergeht.

Der Effekt auf die Zeitwahrnehmung
Jeder kennt den Effekt der Zeitwahrnehmung vom Urlaub:
- zu Beginn sind alle Eindrücke so intensiv, dass die Zeit viel langsamer zu vergehen scheint.
- mit der Zeit „normalisiert“ sich die Geschwindigkeit der Zeit.
- gegen Ende des Urlaubs verfliegen die Tage nur noch so.
Da der Effekt auf die Zeitwahrnehmung aber so klar und einfach erlebbar ist, habe ich mir bisher nie Gedanken darüber gemacht, ihn bzgl. wissenschaftlicher Untersuchungen zu hinterfragen.

Die Idee
Die meisten von uns würden gerne länger leben, als es ihnen biologisch erlaubt ist. Seit ein paar Jahren ist Langlebigkeit bzw. Longevity ein beliebtes Thema in der Ratgeber-Literatur. Der Ansatz ist ein anderer als der, etwas an der Zeitwahrnehmung zu „drehen. Ich kann zum Thema Longevity den Drive-Podcast von Peter Attia empfehlen, den ich gelegentlich höre. Ich kenne ihn aus dem Umfeld von Tim Ferris, einem anderen begeisterten Selbstoptimierer. Die Folge 311 ist eine Zusammenfassung und damit ein guter Einstieg ins Thema.
Mein Ansatz widerspricht dem biologischen Ansatz nicht, ist aber leichter umzusetzen. Er zeigt vor allem direkt von Anfang an Erfolge, weil er bei der Zeitwahrnehmung ansetzt:
- Durch einen Wechsel des Umfelds, der Haupttätigkeit oder das Ausprobieren neuer Hobbies oder Verhaltensweisen nimmt man die Zeit intensiver wahr als im Alltag, der sich nicht verändert.
- Wenn man immer im gleichen Umfeld das gleiche macht, also in der Komfortzone bleibt, fährt irgendwann „der Zug“ los: die letzten 4 Wochen sind so ereignislos gewesen, dass man sich an kaum etwas Besonderes erinnern kann.
Während die biologische Variante von oben also darauf abzielt, die biologische Lebensdauer (egal ob langweilig oder nicht) zu verlängern, zielt mein Ansatz darauf ab, die erlebte Lebensdauer zu vergrößern, in dem ich versuche, mich regelmäßig zu verändern und so meine Zeitwahrnehmung zu ändern..
Was sagt die Wissenschaft zur Zeitwahrnehmung?
Für diesen Artikel habe ich mal recherchiert, mit meiner Lieblings-KI-Plattform für solche Dinge, consensus.app. Die Arbeiten teilen sich auf in zwei Gebiete, die Ergebnisse sind verlinkt:
- die Wahrnehmung im Moment des Erlebens: fühlt sich die Zeit schneller oder langsamer an, wenn ich in einer neuen Umgebung bin?
- die Dauer des Erlebnisses in der Erinnerung: wenn ich mich an das Erlebnis erinnere, fühlt es sich dann übertragen an wie ein Tag oder eine Woche?
Die Zeitwahrnehmung im Moment
Die wissenschaftlichen Studien sind hier nicht eindeutig, da die Wahrnehmung vom Individuum und dessen Verfassung abhängt, manche Studien finden sogar gar keinen Effekt. Am spannendsten finde ich aber, dass der emotionale Zustand, Stress und die Beteiligung am Moment einen Unterschied machen kann. In diesem Sinne habe ich dann wohl Glück gehabt, dass es bei mir in der Regel den verlängernden Effekt hat.
Die Erinnerung an eine Zeitspanne
Bzgl. der Erinnerung ist die wissenschaftliche Lage klarer: bereits 1978 erschien ein Artikel, der genau diesen Effekt experimentell für die Erinnerung an eine Zeitspanne in neuer Umgebung bestätigt hat: Remembered Duration: Evidence for a Contextual-Change Hypothesis (Journal of Experimental Psychology, 1978, Vol. 4, No. 6, Seite 656-665). Der Artikel ist im Netz leicht auffindbar und beschreibt den Effekt auf die Zeitwahrnehmung wie folgt:
„A major finding of [the] Experiment […] is that an interval containing different kinds of levels-of-processing tasks is remembered as longer than an interval containing only one kind of task.“
Das heißt also, dass eine Zeitspanne, in der viele unterschiedliche Dinge getan bzw. erlebt werden, als länger in der Erinnerung gespeichert werden, als eine Zeitspanne, in der man das gleiche macht. Zumindest für die Erinnerung an die vergangene Zeit funktioniert der Effekt also wie erwartet:
auch wenn das Erleben wie oben beschrieben unterschiedlich ist – man hat definitiv in der Erinnerung ein längeres Leben geführt.
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